Vorwort: Soziale Netzwerke im Widerspruch

Volkszählung 1987 – erinnern Sie sich noch an die massive Protestwelle gegen die Erhebung eher belangloser und weitgehend anonymer Daten? „Nur Schafe lassen sich zählen“, lautete ein Slogan. 

Auch gegen den Zensus 2011 gab es noch erhebliche Widerstände.

Facebook 2014 – wenn Sie selbst dabei sind: Wundern Sie sich nicht auch zuweilen, mit welcher Freizügigkeit persönlichste Dinge im Netz verbreitet werden? Welch ein Widerspruch! Und es bleibt nicht der einzige. Wir sprechen zwar von sozialen Netzwerken, finden in ihnen aber massenhaft Selbstdarstellungen, die ganz offenkundige Ziele verfolgen: aus der Masse hervorzutreten, sich stark als Individuum zu fühlen, welches im Applaus der Community eine willkommene Bestätigung sucht und findet.

Dabei haben soziale Netzwerke selbst eigentlich überhaupt keine Ziele. Sie sind einfach da und werden zu allem Möglichen benutzt. Sie können aber allein durch ihre Größe und Dichte eine soziale Funktion haben; z. B. die der Meinungsbildung. Umso wichtiger ist es, dass auch wirklich alle Mitglieder einer Gesellschaft Zugang zu diesen virtuellen Kommunikationsräumen haben. Die Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen, die nicht über entsprechende Bildung und Medienkompetenz verfügen, muss daher auf Dauer problematisch werden. Denn an der Ausgrenzung selbst hat sich – allen digitalen Neuerungen zum Trotz – nichts geändert: Es sind die gleichen wie in der alten analogen Zeit auch.

Dabei bieten die technischen Entwicklungen doch vielfältige Möglichkeiten, z. B. auch Menschen mit geistigen Handicaps die Nutzung der neuen Medien und sozialen Netzwerke zu erleichtern oder zu ermöglichen. Interessanterweise sind es aber vorrangig die ökonomischen Möglichkeiten der Social Media, die systematisch weiterentwickelt werden. Die sozialen, kulturellen und politischen Möglichkeiten werden weniger konsequent ausgeschöpft. 

Trotz alledem bietet die neue Kommunikationstechnik auch Chancen: Man kann diese nutzen oder sich ihnen auch verweigern. Für beides finden Sie in dieser Ausgabe lesenswerte Beispiele. Auf welche Seite Sie sich schlagen wollen, bleibt Ihnen überlassen. Das Nachdenken über einen Seitenwechsel lohnt aber auch hier.

In diesem Sinne,

Ihr Hanno Henkel

Zurück