Vorwort: Im Schatten der Wörter

Menschen können miteinander sprechen. Ich kann jetzt in diesem Augenblick, in dem Sie dieses neue Heft in der Hand halten, zu Ihnen sprechen, und Sie können mir zuhören. 

Das ist das Ergebnis einer sehr langen, wunderbaren Entwicklung und der Tatsache, dass es Wörter gibt, die wir gemeinsam verwenden.

Wörter sind etwas Wunderbares. Es gibt solche, die uns ganz unmittelbar in eine gewisse Stimmung versetzen können; „Kaffeeduft“ zum Beispiel oder „Sommertag“.

Und es gibt solche, die fast nichts mehr sagen, weil sie zu oft gebraucht werden. Sie werden zu Plastikwörtern. „Nachhaltigkeit“ ist so ein Plastikwort.

Und dann gibt es noch solche, die nicht etwas beschreiben, das es gibt, sondern vielmehr das, was sie sagen, auf eine gewisse Art erst hervorzubringen scheinen. Sie machen zum Beispiel Vorhersagen über das Verhalten eines Menschen und bestimmen dadurch auch unser Verhalten.

So geht es mir zum Beispiel mit dem Wort „Autismus“.

Mir kommt ein fi ktives Gespräch zwischen einem kleinen Mädchen und seinem Vater in den Sinn:

Das Mädchen fragt: „Du, Papa, was ist denn Autismus?“ „Autismus, meine Liebe“, antwortet der Vater, „ist ein Erklärungsprinzip“. „Was erklärt es denn?“, fragt das Mädchen weiter. „Alles, was du willst“, sagt der Vater, „in der Regel erklärt es, wenn ein Dialog misslingt, wer daran schuld ist.“

Was wäre, wenn wir auf solche Vorhersagen und Diagnosen verzichten und stattdessen die Stärken des Gegenübers entdecken könnten? So wie auch Künstler, Schauspieler und Musiker entdeckt werden.

Dieser innere Seitenwechsel könnte der Beginn eines anderen Dialogs sein, der aus dem Respekt vor der Lebensgeschichte des anderen und dessen erworbenen besonderen Fähigkeiten erwächst. Sie finden in diesem Heft wieder Geschichten von Menschen, an denen Sie dieses Entdecken ausprobieren können. Sie werden Menschen mit Asperger-Syndrom antreff en, die nicht dialogunfähig sind, sondern gerade auf Dialog angewiesen. Und wenn man bei ihren Stärken und Begabungen anfängt, dann könnte man die eigene „soziale Arroganz“, die uns selbst zu Helfern und die anderen zu Hilfebedürftigen macht, ablegen und zu Entgegenkommen und Akzeptanz fi nden. 

Dann könnten Sie vielleicht auch zu Liane Willeys Freunden gehören, die von ihr so beschrieben werden: „… Sie beleuchten einfach das, was durch mein AS (Asperger-Syndrom, d. Red.) besser ist, meine Gradlinigkeit und Bestimmtheit und Kreativität und Hartnäckigkeit und Loyalität. Denn sie sehen mich zuerst als jemanden, der viele gute Eigenschaften besitzt, und erst dann als jemanden, der einfach ein klein wenig anders ist, sie geben mir eine Vorstellung davon, wie ich mich selbst ebenfalls in diesem Licht sehen kann“.

In diesem Sinne …

Zurück