"Man sieht sich"...immer zwei mal!

„Sie sind für beide Berufe nicht geeignet!“ Ein Schlag in die Magengrube ist das. Drei Stunden hat der Test auf dem Amt gedauert und nun dieses grausige Ergebnis: weder Einzelhandelskaufmann noch Elektriker. Der Sachbearbeite traut ihm beides nicht zu.

Über zwei Jahre sind es bis zu diesem Zeitpunkt her, dass Metin Yildiz die Realschule geschmissen hat. Ebenso lange hat er in Döner-Läden gejobbt, Stütze vom Amt kassiert, mit Freunden rumgehangen. Klar hat er anfangs Bewerbungen geschrieben. Etliche. Aber wer vergibt schon Ausbildungsplätze an Schulabbrecher? Und sein Hauptschulabschluss, das merkt er schnell, ist der Abschluss der Verlierer.

Und es klemmt noch aus anderen Gründen. Seine Rechtschreibschwäche stellt eine mächtige Hürde dar, ebenso sein sogenannter „Migrationshintergrund“. Obwohl der junge Mann aus Hünfeld sein Leben in Deutschland verbracht hat, hört man ihm seine kurdische Herkunft ein wenig an. Wenn er mal etwas sagt. Er ist ein zurückhaltender, etwas schüchterner Mensch – und doch einer, der sich für einen potenziellen Verkäufer hält. Oder für einen Elektriker.

Nach dieser vertanen Zeit mit Aushilfsjobs und „Stütze“ spürt Herr Yildiz, dass etwas geschehen muss. Er will jetzt unbedingt einen Ausbildungsplatz, zumal er nicht nur für sich selbst verantwortlich ist. Bereits mit 19 heiratet er, wird Vater. Irgendwann nimmt das Arbeitsamt Kontakt mit ihm auf. Herr Yildiz zeigt sich kooperativ. Man empfiehlt ihm schließlich diesen Test – doch der endet im Fiasko.

Der Satz des Sachbearbeiters will nicht aus seinem Hirn: Doch so ungeeignet? Selbstzweifel nagen, Motivation sieht anders aus. Schließlich flattert ein Kuvert ins Haus: Der junge Mann soll an einer „Maßnahme zur beruflichen Eingliederung“ teilnehmen. Dazu soll er bei der „Perspektiva gGmbH“ in Fulda-Maberzell vorstellig werden. Reaktion: „Will ich nicht, mach ich nicht!“

Dass er dennoch hingeht, verdankt er dem Zuspruch von Mutter und Ehefrau. Doch Herr Yildiz blockt zunächst ab. Geschockt ist er: „Wo bin ich nur gelandet?“ Im Blick auf seine zusammengewürfelte Notgemeinschaft realisiert er seine Situation: Er ist ein Gescheiterter unter Gescheiterten. 

Nach zwei Wochen aber geschieht etwas Unerwartetes. Gerade dadurch, dass er Menschen begegnet, die eine weit schwierigere Ausgangslage haben als er, auch solchen, die eine geistige Behinderung haben, verändert sich die Blickrichtung. Er sieht: Die schaffen es zwar auch nicht aus eigener Hand – aber die wollen. „Die machen ihre Arbeit jeden Tag, halten den Rhythmus durch! Die wollen das schaffen – und du selbst bist topfit ...“

So hält er schließlich durch. Die vollen vier Monate. Das begleitete Arbeiten auf dem Theresienhof dient der „Beseitigung von Vermittlungshemmnissen“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Ausdauer, Belastbarkeit werden antrainiert, Arbeitsdisziplin und solche Dinge. Sein Betreuer ist wie ein Freund zu ihm, baut ihn in Krisensituationen auf. Selbst seine Berichtshefte führt Yildiz nun regelmäßig – trotz seiner Rechtschreibschwäche. Erstmalig spürt er: „Da geht was!“

In dieser Zeit fädelt Herr Becker, der Perspektiva-Geschäftsführer, ein zweiwöchiges Praktikum im Media Markt ein. Metin Yildiz steht nun im Laden, dort also, wo er hinwollte; packt Kartons aus, räumt Ware in Regale, hilft beim Dekorieren. Und sogar im Bereich der Unterhaltungselektronik – ein Bogen spannt sich zum zweiten Wunschberuf.

Dann, an einem Samstag, läuft gerade die Aktion:„Wir schenken Ihnen die MwSt.“ – also 19% Rabatt auf alles! Brechend voll ist die Hütte, alle Mitarbeiter sind eingespannt. Keiner gibt ihm einen Arbeitsauftrag. Da warnt ihn ein externer Verkäufer: „Wenn du bloß so rumstehst, kriegst du hier nie einen Ausbildungsplatz! Du musst verkaufen, auf die Leute zugehen! Erklär denen da hinten die Fernbedienung und das Gerät! Los!“

Methin Yildiz hat noch keine Verkäufer-Nummer, aber er verkauft im Gewühl den ersten Fernseher seines Lebens. Mit dem Praktikantenschild am T-Shirt. Nicht nur das überzeugt den Geschäftsführer des Marktes, Peter Henkelmann. Trotz seiner zurückhaltenden Art macht der junge Mann auf ihn einen positiven Eindruck. So schafft er die nächste Hürde: Henkelmann schließt mit ihm einen Vertrag über ein „Einstiegsqualifikationsjahr“ (EQJ) ab – ein einjähriger Testlauf für eine mögliche Ausbildung.

In dieser Zeit gewinnt er an Selbstvertrauen. Seine Rechtschreibschwäche bekommt er durch die täglichen Anforderungen besser in den Griff. Auch in der Berufsschule läuft´s. So mündet die Qualifizierungsmaßnahme in eine reguläre Ausbildung, das Jahr wird rückwirkend als reguläre Ausbildungszeit anerkannt. Er hat es geschafft.

Den Metin kenn ich von der Perspektiva. Er ist total nett. Und wenn wir was suchen im Media Markt, der ist hilfsbereit und dann erklärt er uns, was so am Fernseher ist. (M. B.)

Kurz vor dem Abschluss der Lehre dann der Tag, den der Hünfelder nicht vergessen wird. Ausgerechnet der Sachbearbeiter, der ihm seinerzeit die fehlende Eignung zum Einzelhandelskaufmann attestiert hatte, betritt als Kunde den Laden und will – so geht das zuweilen im Leben – einen Fernseher kaufen. Metin Yildiz erkennt ihn schon im Augenwinkel. Er lässt sich nichts anmerken, berät den Herrn wie jeden anderen: verdeutlicht die Begriffe HDTV, Full HD und Blu-ray, klärt über Vor- und Nachteile verspiegelter Displays auf, fragt nach der Empfangsart. Schließlich empfiehlt er ihm ein passendes Gerät, der Mann ist vom Produkt überzeugt. Er kauft. 

Dann erst gibt sich Yildiz zu erkennen, die beiden unterhalten sich kurz, der Sachbearbeiter freut sich mit ihm. Sie verabschieden sich. Herr Yildiz triumphiert nicht, das ist nicht seine Art: „Der Mann hat auch nur seinen Job gemacht. Vielleicht war ich damals noch nicht geeignet“, sagt er rückblickend. Aber genau dem Mann einen Fernseher zu verkaufen, der ihm diese Eignung von Amts wegen abgesprochen hat, markiert für ihn einen Wendepunkt. Auf einen Schlag schließt sich der Kreis, Metin Yildiz versöhnt sich mit seiner Geschichte. An Zufälle zu glauben, fällt manchmal schwer.

Heute kann Herr Yildiz ganz offen über seinen steinigen Weg sprechen. Alle Mitarbeiter wissen, dass er von einer „Maßnahme“ kam, und das spielt für das Miteinander keinerlei Rolle. Und Pläne, noch weiter voranzukommen, hat er auch. „Wenn du willst, kannst du alles schaffen“, gibt er noch zu Protokoll und verschwindet in seine Abteilung.

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