Männer im Baumarkt
Entdeckungen in einer „ganz normalen Welt“
Oswal Maul ist 58 Jahre alt. In einem Baumarkt war er noch nie. Premiere also. Er weiß, dass es nun in die Stadt geht und etwas gekauft werden soll. Peter Mohr, sein Begleiter in der Wohngemeinschaft Kamillus, hat mit den Fingern das Geldzeichen gemacht.
Gestern schon. Seitdem: Ameisen im Bauch.
Dass Farbe gekauft werden soll, weiß er nicht so genau. Die Möbel in seinem Zimmer sind in die Jahre gekommen und benötigen einen Anstrich. Farbe kaufen ist natürlich nicht gerade der Knaller. Viel lieber würde er vermutlich eine Plastikkuh kaufen. Herr Maul liebt Plastikkühe. Aber egal. Ein Ausflug in die Stadt ist immer ein Knaller.
Entschlossen schnappt er sich den Einkaufswagen. Auf geht´s, über den Parkplatz, durchs Schiebetür-Portal ins fremde Land. Einkaufswagen schieben ist eine tolle Sache. Kann er perfekt. Etwas kompliziert wird es bei den Farben. Dose neben Dose, endlose Reihen. Weiß soll es sein, aber davon gibt es etliche.
Ob und inwieweit Herr Maul ein Gespür für Farben hat, wird ausprobiert. Er vergleicht. Nicht leicht auszumachen, ob er versteht, worum es geht. Er überfliegt die Deckel mit den Farbmustern und entscheidet sich für Hochglanz. Sieht offenkundig besser aus. Als er nach eingehender Prüfung auch die Pinsel selber auswählt – preisbewusst übrigens: drei Stück für drei Euro – steht fest: Er weiß, worum es geht. Zuletzt noch das Klebeband. Als alles im Wagen liegt, stellt er klar, dass das ja wohl noch nicht alles gewesen sein kann. „Kuh!“, tönt es durch den Gang.
Viel Zeit ist leider nicht. Peter Mohr wird wieder in der Wohngemeinschaft gebraucht, und Kunststoff- Kühe gehören nicht zum Sortiment. Aber eine kleine Tour durch den Markt, das muss drin sein! Nein, die Lampenabteilung ist nichts für ihn. Peter Mohr kennt Oswald gut und tippt auf Sanitär. Für Baderäume und Toiletten hat er ein Faible, da hält er sich ganz gern mal auf.
Schon auf dem Weg zur Sanitärabteilung winkt ein Sonderverkaufsstand: Kloschüsseln zum Aktionspreis! 25 Stück auf einem Haufen. Das ist nun wirklich ein Knaller. Ein ganzer Film läuft in ihm ab. Faszination und Irritation kämpfen um die Vorherrschaft. Im Grunde genommen ist das ja auch absurd, so ein Klo-Stapel. Wie oft ist man da selbst schon entlanggelaufen und hat nie realisiert, wie komisch das eigentlich ist! Oswald Maul hat´s gleich gemerkt!
Dass er abstrakt denken kann, zeigt sich bei den Wasserhähnen, die zu Hunderten an einer Holzwand montiert sind. Nur bei einem versucht er sachte, ob Wasser kommt, so als wenn er auch nicht wirklich damit gerechnet hätte. Dann schaut er sich die Chromgebilde fragend an.
Bevor es zurückgeht in die Wohngemeinschaft des Antoniusheims, gibt´s noch einen kurzen Stopp in einem Café (ein bisschen schlechtes Gewissen inklusive, weil die anderen auf der Gruppe warten). Oswald Maul sucht sich an der Theke ein Stück Schmand-Kuchen aus und entscheidet sich für Cola. Sein Blick schweift umher. Er ist ein großer Beobachter; doch so dezent, dass man es kaum bemerkt.
Ganz kurz stützt er sich mit der Faust nach unten auf der Stuhllehne ab. „Genau das ist das Zeichen, dass er sich absolut wohlfühlt!“ Peter Mohr hat gelernt, solche Zeichen zu deuten; Signale, die die meisten übersehen würden. Über alles Berufliche hinweg sind die beiden mit den Jahren ziemlich beste Freunde geworden.
Von den Eindrücken auf diesem Ausflug wird Herr Maul nun ein paar Tage zehren. Eindrücke, die ihn lebendig machen. Eindrücke aus der ganz normalen Welt, die auch von Menschen mit schweren Behinderungen entdeckt werden will.
Der Wagen stoppt vor dem Hauptgebäude. Oswald Maul, der Fuchs, versteckt schnell noch etwas im Handschuhfach. Denn so gibt es einen Grund, später noch mal zum Auto zurückkehren zu müssen. Vielleicht geht es dann ja noch mal in den Baumarkt. Oder dorthin, wo es Plastikkühe gibt. Warum eigentlich nicht.