Geht doch: Auf dem Gipfel der Träume

Pia Pröse hat erreicht, was sie wollte: Eine eigene Wohnung wollte sie, wo sie selber kochen kann. Auf dem Land wollte sie leben, weil sie „ein Dorfmensch“ ist. 

Einen normalen Arbeitsplatz mit netten Kollegen wollte sie, am besten in einem Hotelbetrieb. Und das hat sie nun alles.

Die 21-Jährige blickt über ihren Milchkaffee und strahlt. Ein selbstbestimmtes Leben zu führen war ihr größter Traum.

Die letzten sieben Jahre war das Antoniusheim in Fulda ihr Zuhause. In vielen kleinen Schritten hat sie sich dort auf diesen großen Schritt vorbereitet. Gerne denkt sie an diese Zeit zurück und fährt auch manchmal dorthin, um Freunde zu besuchen. Aber ihr Lebensmittelpunkt liegt jetzt in der Rhön, in Poppenhausen, wo sie wohnt, und auf der Wasserkuppe, wo sie arbeitet.

Natürlich war das am Anfang ungewohnt im neuen Appartement. Aber Pia hat sich umgewöhnt. Rasch entwickelte sich eine Freundschaft mit einer anderen Hausbewohnerin. Weil es zusammen besser schmeckt, wird oft zusammen gekocht, Lasagne zum Beispiel. Da kümmert sich die Freundin Nadja um die Nudeln, Pia zaubert eine Soße, und hinein in die Auflaufform! Nach dem Essen werden die Füße hochgelegt. Dann machen die beiden Handarbeit vor dem Fernseher. Bis die Stricknadeln glühen.
Was so normal klingt, ist keineswegs selbstverständlich. Noch vor wenigen Jahren wäre ein solcher Seitenwechsel kaum möglich gewesen. Wegen ihrer Lernbeeinträchtigung wäre sie dauerhaft in einer klassischen Werkstatt für Behinderte (WfbM) arbeiten gegangen, hätte in einer Spezialeinrichtung gewohnt und so ihr Leben in einer Sonderwelt verbracht. Dabei geht das auch anders.

Die modernen Konzepte im Antoniusheim zielen auf größtmögliche Verselbstständigung, Wahrung und Förderung von Individualität, Normalisierung. Wohnen und Arbeiten sind hierbei Schlüsselbereiche. Alles, was man zum selbstständigen Wohnen können muss, lässt sich lernen. Wenn jemand so weit ist, werden bestimmte Dinge trainiert. Zum Beispiel, mit einem bestimmten Geldbetrag über das Wochenende zu kommen. Gerichte aus dem Kochbuch aussuchen, Einkaufszettel schreiben, im Laden Preise vergleichen, das ist nicht einfach. Vor allem, wenn 15 E reichen müssen. Heute muss Pia genau das beherrschen.

Aber sie steht auch jetzt nicht alleine da. In dem Projekt „Leben und Arbeiten in Poppenhausen“ werden jedem Bewohner Begleitpersonen zur Seite gestellt. Stephanie Müller-Gerst, die Projektleiterin, und Petra Leitschuh aus Poppenhausen stehen täglich bereit, denn Unterstützung ist natürlich auch weiterhin wichtig. Mal wird ein Großeinkauf gemacht, mal wird Wäsche gewaschen oder ein Bankgeschäft erledigt. Ein eigenes Handy oder Konto gehören für Pia zum alltäglichen Umgang. Und ganz gleich, wo es klemmt, die Alltagsbegleiter des Projektes stehen ihr zur Seite.

Ob ein solcher Schritt ins normale Leben gelingt, hängt wesentlich vom passenden Arbeitsplatz ab. Pia Pröse hat einen richtigen Beschäftigungsvertrag: im Hotel Peterchens Mondfahrt auf der Wasserkuppe. Hier hat sie im letzten Jahr ein Praktikum absolviert. Drei Monate lang konnten sich Pia und ihre Mitarbeiter beschnuppern. Und obwohl Pia noch zwei weitere Stellen ausprobierte, war klar: Sie wollte diesen Arbeitsplatz. Und die Mitarbeiter wollten sie.

Die Herausforderungen, die ein normaler Arbeitsplatz mit sich bringt, haben Pia mächtig wachsen lassen. Küchenchef Andreas Rau, der auch für den Hotelbetrieb verantwortlich ist, sieht genau, was Pia geleistet hat: „Mit zunehmendem Selbstbewusstsein ist ganz klar auch ihre Leistungsfähigkeit gestiegen“. Sie weiß nun, wo die Schöpfkellen hängen müssen und wo das Vorlegebesteck hingehört; sie kennt die Abläufe im Hotelbetrieb und „wird in ihrem gesamten Sein und Tun immer sicherer“.

Wo Pia jetzt noch zulegen muss, ist, selbst zu erkennen, was als Nächstes getan werden muss. Anders als in einer Fabrik sind die Abläufe im Hotelgewerbe nicht so festgelegt. Da braucht sie öfter Anleitung. An der Seite von Monika Henkel, der guten Fee im Betrieb, räumt sie das Frühstücksbuffet ab, spült und ordnet das Geschirr, schwingt Sauger und Feudel und macht Hotelzimmer bezugsfertig. All das soll sie schrittweise noch selbstständiger erledigen. Das braucht schon etwas Zeit. Und Geduld. Aber für Rau ist klar, dass sie das schaffen wird. Zumal sie Schwächen auch kompensieren kann: „Pia kommt mit bester Laune an die Arbeit. Das Untereinander und Miteinander ist schöner, seit sie da ist. Sie bringt Herzlichkeit in das harte Gastronomiegeschäft!“ Davon profitieren Mitarbeiter, Gäste und damit der ganze Betrieb.

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