„Es ist nicht so leicht, eine Leiche zu spielen“
Wenn ChrisTine Urspruch den Raum betritt, schaut man unweigerlich herab und doch zugleich hinauf.
Denn die 1,32 cm kleine „Tatort“-Schauspielerin mit dem großen T im Vornamen beeindruckt sogleich mit einem hohen Maß an natürlicher Präsenz. Trotz Zugverspätung nahm sie sich vor einer Lesung im Antonius-Café noch die Zeit, um der SeitenWechsel-Redaktion Rede und Antwort zu stehen. Ein Gespräch über das Schauspieler-Sein, das Scheintot-Sein und das Anders-Sein.
Erika Mechler: Ich wollte eine Begrüßung machen: Also, ich begrüße Sie ganz herzlich, dass Sie hierher gekommen sind, und wir freuen uns, dass Sie das miterleben dürfen.
ChrisTine Urspruch: Vielen Dank, das ist eine nette Begrüßung. Da freue ich mich auch!
Andreas Sauer: Waren Sie von Kind auf so talentiert für Schauspielerei?
ChrisTine Urspruch: Eigentlich schon. Ich habe aber erst mit 19 bei einer Theatergruppe angefangen. Vorher habe ich das eher privat gemacht und meine Eltern belustigt. Wenn im Fernseher irgendwelche Tanzveranstaltungen liefen, habe ich mitgetanzt, mich verkleidet, mich dauernd umgezogen. Die wollten aber lieber die Fernsehshow sehen, glaube ich.
Michaela Lengsfeld: Das ZDF-Fernsehballett?
ChrisTine Urspruch: Ja, genau, da wollte ich gerne mitmachen!
Erika Mechler: Wie bekommt man Familie und Beruf zusammen?
ChrisTine Urspruch: Das ist nicht leicht. Ich habe eine zehnjährige Tochter, die ist jetzt zu Hause mit einem Kindermädchen, damit ich hier bei Ihnen sein kann. Da braucht man oft Hilfe, von den Großeltern z.B. Das ist vor allem das Organisatorische. Da ich aber gerne arbeite und im Beruf weiterkommen möchte, muss ich oft von Zuhause weg sein. Und da kommen die Gefühle dazu, die Liebe, die man für die Familie hat. Wenn ich meine Tochter eine ganze Woche nicht gesehen habe, leide ich sehr.
Erika Mechler: Aber ich finde das gut, dass Sie Ihr Kind liebhaben, sogar sehr gut. Und dann können Sie ja auch mal was mit Ihrem Kind unternehmen ... Genau, wenn ich zu Hause bin, widme ich ihr natürlich sehr viel Zeit.
Andreas Sauer: Wie kriegen Sie das unter einen Hut, mehrere Rollen zu haben – also jetzt auch die Geschichte mit „Dr. Klein“?
ChrisTine Urspruch: Es ist ja immer ein zeitlicher Abstand zwischen den Rollen. Das Sams ist schon lange vorbei, das war in 2010. Einen „Tatort“ drehe ich jetzt noch im März und erst im Anschluss wieder „Dr. Klein“. Das mache ich alles Schritt für Schritt.
Andreas Sauer: Wie Sie das so machen, da bin ich schon sehr begeistert. Noch eine Frage: Macht Ihnen die Arbeit Spaß? Wie gehen Sie zur Arbeit?
ChrisTine Urspruch: Wie ich zur Arbeit gehe? Geputzt, gewaschen? [Lachen] Ich bereite mich natürlich gut vor, lerne meinen Text, meist gibt es noch eine Kostümprobe. Da wir immer mal einen anderen Regisseur haben, treffe ich diesen vorher, spreche mit ihm über die Rolle, schaue, ob man dieselbe Sprache spricht.
Andreas Sauer: Und gibt es Begegnungen mit Menschen mit Behinderungen beim Tatort?
ChrisTine Urspruch: Wir hatten mal eine Folge, da saß eine Schauspielerin im Rollstuhl, doch die hatte sich nur für die Rolle dort hinein gesetzt. Aber bei „Dr. Klein“ gab es drei Folgen, in denen ein kleinwüchsiger Schauspieler mitspielte. Die Geschichte war, dass wir einander von früher kannten und uns nach vielen Jahren wieder treffen. Er umwarb mich, hat mir Avancen gemacht und mein ganzes Auto mit Rosen eingedeckt. Und mein Mann – also derjenige, mit dem ich im Film verheiratet bin – war richtig eifersüchtig auf diesen Kleinwüchsigen. Das fand ich eine tolle Geschichte, weil da erzählt wurde, dass auch kleinwüchsige Männer attraktiv sind und normal gewachsene ganz schön eifersüchtig drauf sein können.
Andreas Sauer: Wie war das für Sie, als sie beim „Tatort“ angefangen haben?
ChrisTine Urspruch: Als das Angebot auf mich zukam, war das wie ein Sechser im Lotto, auch weil ich ein großer Verehrer von Axel Prahl und Jan Josef Liefers bin. „Oh, Mann“, dachte ich, „mit denen zusammenspielen zu können, das ist schon toll!“ Und das ist es heute immer noch.
Erika Mechler: Wie lange dauert das eigentlich, bis der Film gedreht ist?
ChrisTine Urspruch: Beim Kinofilm hat man mehr Zeit, bei Fernsehserien muss man dagegen mit kleinen Zeiträumen arbeiten: Für eine Folge von „Dr. Klein“ haben wir nur sieben Drehtage. Das sind richtig volle Tage. Natürlich fallen viele zusätzliche Tage an, um das vorzubereiten: Da werden wochenlang Krankenbetten positioniert, Zimmer eingeräumt, Lampen aufgehängt, damit es wie im echten Krankenhaus aussieht.
Andreas Sauer: Sie spielen ja im „Tatort“ die Pathologin. Haben Sie schon einmal eine richtige Pathologie gesehen?
ChrisTine Urspruch: Ja, da war mir aber sehr mulmig. An einem Drehort in Münster mussten wir vor den Wänden spielen, wo dahinter die Leichen in den Schubladen aufbewahrt werden. Aber seit einigen Jahren drehen wir das jetzt in Studios, denn es ist ja auch eine Pietätsfrage. Man weiß ja nicht, ob die Angehörigen das so schätzen, wenn da ihre tote Großmutter liegt und dann ein Fernsehteam daher kommt und die Leute ihre Witze machen. Das ist schon grenzwertig, und das muss man natürlich respektieren.
Erika Mechler: Aber es gibt ja auch welche, die sind nur scheintot. Die denken sich vielleicht: Wie ist das denn jetzt, wenn ich nur scheintot bin? Tun die dann eigentlich noch Luft holen?
ChrisTine Urspruch: Ja, das kann man sich gar nicht vorstellen, da kenne ich auch nicht aus, mir ist noch kein Scheintoter begegnet [lacht]. Vielleicht sollten wir das mal mitaufnehmen.
Tanja Preis: Aber wir haben uns schon gefragt: Wie ist das für die Schauspieler, wenn sie daliegen und nicht atmen dürfen?
ChrisTine Urspruch: Diese Szenen dauern immer am längsten. Schauspieler, die Leichen spielen, müssen natürlich zwischendurch atmen. Und da ist die Kamera manchmal ganz nah auf dem Gesicht drauf und wandert über den ganzen Körper, vielleicht, um noch eine wichtige Wunde zu zeigen. Und da heißt es in dem Moment immer: „Jetzt Luft anhalten, ganz flach und ruhig liegen bleiben!“ Und sobald dieses Kommando kommt, fangen alle erst mal an zu hecheln und mit den Augen zu blinken, weil sie so aufgeregt sind. Es ist wirklich nicht leicht, eine Leiche zu spielen!
Arnulf Müller: In der „Süddeutschen“ stand, dass Sie mit Ihrer Rollenauswahl im Grunde zufrieden sind, sich aber auch vorstellen könnten, mal eine Rolle zu spielen, in der auch Ihre dunkle Seite zum Vorschein kommt. Was stellen Sie sich da vor?
ChrisTine Urspruch: Irgendwie etwas Zwielichtiges, eine Betrügerin oder auch eine Mörderin vielleicht, das würde mich schon reizen. Denn es ist ja normalerweise so, dass ich meist mit sehr positiv behafteten Rollen besetzt werde. Ich würde aber gerne weitergehen. Es ist schade, dass man Menschen wie mir, die ein bisschen anders sind als die Norm oder auch Menschen mit einer Behinderung, so etwas immer gar nicht zutraut. Viele fragen sich zu Unrecht: Darf man das überhaupt zeigen? Oder mal ganz platt ausgedrückt: Darf ein behinderter Mensch überhaupt böse sein? Natürlich darf man das zeigen. Außerdem würde es mich auch persönlich reizen, dunkle Seiten zu zeigen und mal unsympathischer und zwielichtiger dazustehen.
Arnulf Müller: Wenn Regisseure denken: „Das wäre doch eine Rolle für Frau Urspruch“, dann haben sie vermutlich ein festes Bild im Kopf von dem, was transportiert werden soll. Es ist vermutlich schwer, da rauszukommen...
ChrisTine Urspruch: Ja, das ist schon schwer, aber das geht meinen Kollegen natürlich auch so. Man wird oft so besetzt, wie man gesehen wird. Manchmal hat man das Glück, dass plötzlich mal eine andere Fantasie in Gang kommt. Trotzdem macht mir die Rolle im „Tatort“ noch großen Spaß.
Andreas Sauer: Wie kriegen Sie das hin, dass das so spannend ist?
ChrisTine Urspruch: Für die Serie „Dr. Klein“ bin ich vorher in ein echtes Kinderkrankenhaus gegangen, habe geschaut, wie Kinderärztinnen mit den Kindern umgehen und was da für eine Atmosphäre herrscht. Diese Eindrücke trage ich lange mit mir herum. Dann lese ich die Drehbücher gründlich, schaue, ob das für mich stimmig ist, wie es gemeint ist, lustig, ernst oder gar tragisch. Und selbst wenn die Rolle tragisch gemeint ist, schaue ich, ob ich trotzdem vielleicht eine warme, humorvolle Seite einbringen kann. Das Lernen des Textes ist das Aufwendigste. Bevor er dann gut sitzt, laufe ich sprechend durch die Wohnung oder gehe Spazieren, das geht dann besser in den Körper und in den Geist über. Michael Lengsfeld: Sprechen Sie das wortwörtlich oder kommen eigene Abweichungen hinein?
ChrisTine Urspruch: Ich bemühe mich, es wortwörtlich wiederzugeben. Manchmal geht mir aber eine Formulierung nicht über die Lippen, dann formuliere ich es nach meiner eigenen Fasson: Das ist aber auch in Ordnung so.
[Die Mitarbeiterin Julia Geiger erzählt dann von ihren Wünschen, die sie in Berlin bei einer Aktion-Mensch-Veranstaltung vorgetragen hat. Und über ihr Down-Syndrom. Das möchte Sie nicht haben, und die Sache mit ihrer Behinderung ist immer ein Thema für sie.]
Da geht es Ihnen ähnlich wie mir: Bei mir kommt auch immer das Thema „klein“, „Kleinwüchsigkeit“ auf; und da denke ich immer: „Leute, bitte, ich bin halt einfach nur ein bisschen kleiner als andere, aber ich kann alle Dinge tun, wie alle anderen auch. Aber man wird immer wieder drauf angesprochen, und deswegen lässt es einen einfach nicht los.
Julia Geiger: Das ist wichtig, nicht behindert zu werden und alles machen zu können.
Erika Mechler: Deswegen heißt das ja: Jeder ist anders! Es ist ja nicht jeder Mensch gleich. Und deswegen kann man die Leute mit einem Handicap nicht einfach so in die Ecke drücken!
ChrisTine Urspruch: Genau! Unsere Unterschiede machen uns ja auch aus.
Erika Mechler [sieht die Autogrammkarte von Frau Urspruch]: Da bist du aber hübsch, sehr hübsch sogar...
ChrisTine Urspruch: … na ja, da bin ich richtig professionell geschminkt...
Erika Mechler: ...das hätte ich nicht gedacht, dass du da so schön bist.
ChrisTine Urspruch: Mit Maske und Licht kann man einiges machen… [lacht]
Erika Mechler: Wie viel Jahre alt waren Sie denn da? Das habe ich vor einem halben Jahr machen lassen. Jetzt bitte nichts Falsches sagen…
Erika Mechler: ...nein, nein, da halt ich mich zurück.
Andreas Sauer: Kann ich ein Autogramm bekommen? ChrisTine Urspruch: Ja klar!
Erika Mechler: Ich auch! ChrisTine Urspruch: Auf dieses Bild?
Erika Mechler: Na, selbstverständlich!