Endlich auto - nom!

Es war ein Kampf an mehreren Fronten, und er dauerte dreieinhalb Jahre. Am 24. April 2014 hat Ulrich Büttner die praktische Führerscheinprüfung endlich bestanden. Im ersten Versuch. 

Für den jungen Mann mit starken spastischen Lähmungen geht ein Lebenstraum in Erfüllung. Wem das Gehen so schwerfällt, dem bedeutet das Fahren-Dürfen unendlich viel. Kein Wunder, dass er nicht lockerließ.

Als Ulrich Büttner am nächsten Morgen nicht mit dem Bus, sondern mit seinem Leichtkraftfahrzeug am Bauhof in Poppenhausen vorfährt, fallen seinen Arbeitskollegen fast die Augen aus dem Kopf. „Der Uli hat´s tatsächlich geschafft!“ Zugetraut hatten sie es ihm nie: „Das kann doch nichts werden, da fehlt ja jede Feinmotorik.“ Und sie waren nicht die Einzigen, die so dachten.

Vielleicht stellten solche Vormeinungen die größte Hürde für ihn dar. Wen hat er nicht alles überzeugen müssen: die Eltern, den Fahrlehrer, die Führerscheinstelle, den Arzt, mehrere TÜV-Gutachter und zuletzt den Fahrprüfer. Sie alle konnten ja unmittelbar sehen, wie mühsam er sich über die Straße schleppt, wie schwer ihm einfache Hantierungen fallen, wie er um eine verständliche Aussprache ringt. Naturgemäß zogen alle aus diesen Beobachtungen erst einmal ihre Schlüsse. Büttners Wunsch, den Führerschein machen zu wollen, glich dem eines Menschen, der ankündigt, das Matterhorn in Ballettschuhen besteigen zu wollen. Wie oft konnte man hören: „Ja, warum sagt ihm denn niemand, dass er das niemals schaffen kann?“ Oder: „Macht ihm doch keinen Mut, das macht es nur noch schlimmer!“ Nicht alle, aber die meisten haben so gesprochen und es gut gemeint. Aber sie lagen falsch.

Natürlich ging Büttner ein großes Risiko ein. Er hätte auch böse auf die Nase fallen können. Doch der junge Mann weiß: Wer jedes Risiko meidet, kann nichts erreichen. So treibt er, unterstützt von Personen aus seinem Umfeld, entschlossen sein Projekt voran: Er überzeugt zunächst den Fahrlehrer, während sie vorab ein paar Testrunden auf einem großen Parkplatz drehen. Der Amtsarzt untersucht ihn und gibt grünes Licht. Büttner büffelt Theorie, besteht schließlich die Prüfung und beginnt mit der Praxis. Die Fahrschule schaltet zur Sicherheit die Führerscheinstelle ein. Auch von ihrer Seite bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Dann der große Rückschlag. Der TÜV-Hessen meldet plötzlich Bedenken an und fordert eine Gutachtenfahrt. Herr Büttner hatte bei der theoretischen Prüfung Schwierigkeiten, die Fragen mit einer Computermaus anzukreuzen. Das weckt Misstrauen. So wird kurz vor der praktischen Prüfung (!) eine Gutachtenfahrt angesetzt, die entscheiden soll, ob Ulrich überhaupt an der Prüfung teilnehmen darf. Er absolviert sie im normalen BMW, obwohl er nur einen Führerschein für ein Leichtkraftfahrzeug mit max. 6 PS machen will, denn ein solches ist nicht zur Hand. Auch die Ausgestaltung der Fahrprobe ist zwiespältig: Uli Büttner muss aussteigen, um den Ölstand zu prüfen – vermutlich, weil der Prüfer sehen will, wie er sich bewegt und ob er hinreichend geschickt ist. Er bekommt die Haube zwar auf, aber er wird nervös und fällt schließlich durch. Das schien es gewesen zu sein. Doch der junge Mann gibt nicht auf, er legt nur eine Pause ein. Während dieser Zeit verfällt seine bestandene Theorieprüfung. Nach einem knappen Jahr meldet er sich erneut an, denn im Gutachten steht, dass er „derzeit nicht in der Lage“ sei, ein Fahrzeug zu führen – und „derzeit“ ist ein weiter Begriff. Beim zweiten Versuch erhöht er noch mal das Risiko, indem er sich ein solches Spezialauto kauft, um darauf die zweite Gutachtenfahrt und schließlich die normale Praxis-Prüfung ablegen zu können. Zuvor macht er erneut die Theorieprüfung und beginnt wieder mit Fahrstunden. Im Herbst 2013 besteht er unter den Augen eines fairen Gutachters die ungeliebte Fahrprobe. Ein gewaltiger Schritt. Doch nun droht neues Ungemach. Ulrichs Auto ist 25 kg zu schwer. Das Auto war vorher in Österreich zugelassen, aber in Deutschland gelten andere Richtwerte. Ulrich will den Beifahrersitz nicht ausbauen, denn dann könnte er nie jemanden mitnehmen. So muss eine Konformitätserklärung des Generalimporteurs beantragt werden. Über der Lösung dieses Problems vergeht der Winter. Im Frühjahr ist der Fall geklärt, und Ulrich kann weitere Fahrstunden nehmen. Schlussendlich besteht er die praktische Prüfung. „Dieser Führerschein gibt ihm einen Schub für die ganze Existenz“, resümiert sein Fahrlehrer. „Seine Lebensqualität hat brutal zugenommen.“ Krebs betont: „Und das war kein Geschenk, es gab keinerlei Behindertenbonus!“ Büttner hatte eine richtig schwere Prüfung zu absolvieren. Darauf darf er nun stolz sein. Nie ging es darum, eine Ausnahme zu erzwingen Wenn er durchgefallen wäre, dann wäre es eben so gewesen. Aber ihm die Chance zu verweigern, nur weil der „gesunde“ Menschenverstand sagt: „Das klappt doch nie!“, das wäre nicht fair gewesen. 

Mit diesem Führerschein hat er auch für andere Menschen, die trotz körperlicher Einschränkungen mobil sein möchten, eine Tür aufgestoßen. Zuletzt ist es eine richtige Mutmach-Geschichte geworden. Doch wenn Ulrich irgendwann seine erste Beule kassiert, wird sich vermutlich bei denen, die es ja immer gewusst haben, die Stirn erneut in Falten legen. Hoffentlich erinnern sie sich dann auch an die Dellen in ihrer eigenen Jugend.

Gute Fahrt, Ulrich Büttner!

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