„Einfach dazwischen sein, nicht oben drüber“

Es ist ein heiterer Ort, dieser Frauenberg. Wer den steilen, gepflasterten Weg aufsteigt und kurz innehält, atmet Weite:

Fulda von seiner schönsten Seite. Und wer an der Klosterpforte anklopft, dem wird aufgetan. „Jeder hat das Recht, einmal am Tag freundlich begrüßt zu werden“, flachst Bruder Florian Reith und zitiert sogleich den Grund, warum Humor bei ihm großgeschrieben wird: „Man soll die Wahrheit heiter sagen, denn dem Clown hört man lieber zu als dem Prediger.“

Die Klosterpforte hier oben ist eine Art Schnittstelle zwischen der Welt da draußen und der da drinnen. Als ein solches Weltenscharnier hat sie mehrere Funktionen: Wie ein Kontrollposten sichert sie die Abgeschiedenheit des Konventes; einfach so durchmarschieren geht nicht. Dann ist sie Verwaltungseinheit mit Telefonanlage, Poststelle, Auskunftsbüro. Schließlich findet hier das statt, was Ordensgründer Franziskus so wichtig war: Für den Ausgehungerten gibt´s Brot und Suppe, für den Übermüdeten mit leeren Taschen ein Bett und für erschöpfte Seelen ein aufmunterndes Wort. Für Bruder Florian (62) ist dieser letzte Bereich klar der wichtigste. Auch wenn er nicht hinter dem Schiebeglas hockt, hört er die Klingel auf seinem Mobiltelefon. Und auch nachts sieht er auf dem Display, wer bei Kälte und Nässe gerade draußen steht. „Es soll keiner umsonst zu uns hier hochkommen.“

Bruder Florian – das spürt man schnell – verkörpert die Idee einer barrierefreien Kirche: nah und unmittelbar bei den Menschen, frei von klerikalem Dünkel. „Wir heißen ja Orden der Minderen Brüder, daher die Abkürzung OFM (ordo fratrum minorum). Das ist schon ein Stück Programm. Ich muss mich nicht ständig verdemütigen, darf mich aber auch nicht zu wichtig nehmen. Wenn wir anderen helfen, dann nicht von einer höheren Warte aus, sondern – wie man heute sagt – auf Augenhöhe. Manche geben Almosen und denken: Wir sind die Tollen! Das habe ich in Berlin erlebt, als ich vier Jahre in der Suppenküche gearbeitet habe. Da haben sich manchmal diejenigen, die hinter der Theke standen und das Essen ausgaben, für etwas Besseres gehalten, obwohl sie den gleichen Status hatten wie die Suppenempfänger, nämlich Hartz 4. Das war nicht immer einfach. In der Gesellschaft gibt es Hierarchien, aber letzten Endes soll sich jeder bewusst sein, dass wir, wie Franziskus sagt, alle Brüder und Schwestern sind. Unser Leben hätte ja auch anders laufen können. Wie schnell das geht, hab ich in der Gefängnisseelsorge gemerkt.“

Bruder Florian kann auf viele Lebensstationen zurückblicken. Ans Ordensleben denkt der Rhöner Jung „aus Weyhersch“ zunächst nicht. „Als ich da unten in die Winfriedschule ging, habe ich das Kloster da oben überhaupt nicht wahrgenommen.“ Franziskaner kennt er nur aus Kindertagen, weil sie in Weyhers immer mal Gottesdienst hielten und beim Opa vor der Tür standen, um Spenden zu sammeln. So lernt er zunächst Industriekaufmann bei der Siemenstochter KWU, arbeitet sechs Jahre im Kraftwerksgeschäft. Irgendwann wechselt er zur Kugelfabrik in Fulda und macht berufsbegleitend einen Bilanzbuchhalterkurs. Doch er spürt zunehmend, dass es ihn in eine andere Richtung zieht: „Im September 1984 beschloss ich, doch lieber zu einer Weltfirma zu gehen. Und die hieß eben OFM – und nicht mehr Siemens.“

Als Bruder Florian in den Orden eintritt, leben hier ca. 45 Mönche. Er übernimmt verschiedene Aufgaben, „Pforte, Hausmeister, Jugendarbeit im Franziskusheim, Mädchen für alles“. Obwohl er kein Studium anstrebt, besucht er Grund- und Aufbaukurse in Theologie und kommt mit den Ideen des Zweiten Vatikanischen Konzils in Berührung. „Dass so ein Aufbruch in der Kirche möglich war, hat mich fasziniert. Das musste doch auch innerhalb der Franziskanerprovinz möglich sein: Raus aus dem großen Kloster und sich unter die Menschen mischen! Dieser Impuls war irgendwann in der Ordensgeschichte verlorengegangen. Aber jetzt gab es wieder Bestrebungen, kleine Gemeinschaften zu gründen.“ Bruder Florian nutzt den Rückenwind, findet Gleichgesinnte. In einer „Räubersynode“ wird der Plan geschmiedet, einen kleinen Konvent in Thüringen zu gründen – „die Grenze war ja weg“. So beschließt das Provinzkapitel 1991 eine Neugründung in Schmalkalden mit drei Brüdern. „Das ging von 1992-2004. Davon wohnten wir neun Jahre im Plattenbau. Die Menschen wunderten sich, dass wir dorthin zogen, jetzt, als alle dort weg wollten. Aber wir wollten unmittelbar bei den Menschen sein.“

Sie bringen sich in der Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge ein, in der Jugendarbeit und bei einer städtischen Anlaufstelle für Notleidende. „Franziskaner sollen möglichst keine großen Einrichtungen haben, sondern sich in bestehende einbringen. Das Franziskanische Prinzip heißt: Leben unter fremden Dach und arbeiten bei anderen. Sich irgendwo einmieten. Es muss kein Kloster sein. Die Brüder haben früher auch in normalen Häusern gewohnt und bei Bauern auf dem Feld oder in Aussätzigenheimen gearbeitet. Franziskus hätte mit dem Geld von seinem Vater ja auch ein Siechenhaus bauen können. Aber er hat das Erbe abgelehnt und dort einfach Dienst getan.“

Ein Vorteil dieser sozialen Strategie liegt in der großen Flexibilität: Wenn man irgendwann eine andere Aufgabe übernehmen muss, bricht nichts zusammen. Außerdem lebt man als Christ in der ständigen Auseinandersetzung mit Menschen unterschiedlicher Konfessionen oder Religionen. Man arbeitet mit ihnen zusammen und bleibt offen für die Vielgestaltigkeit menschlicher Entwürfe. Natürlich gibt es von Seiten des Konvents manchmal Bedenken gegen eine zu große Verschmelzung mit der Welt. „Dann heißt es oft: Da geht das Franziskanische verloren. Aber man muss nicht Träger einer Einrichtung sein, um die franziskanische Idee zu leben. Im Letzten zeigt sie sich darin, wie wir miteinander umgehen.“

Bruder Florians Versuche, diese Idee mit Leben zu füllen, verlangen immer wieder Neuausrichtungen. Auch jetzt, da er wieder an der Pforte eingesetzt ist, sucht er zusätzliche Einsatzgebiete. Seit über einem Jahr unterstützt er Perspektiva auf dem Theresienhof, wo Jugendliche mit Startschwierigkeiten auf das Berufsleben vorbereitet werden. Mit Latzhose statt Habit bekleidet mischt er sich unter die Jugendlichen, packt mit an beim Tauchen von Schippenstielen, Hacken von Anmachholz und Abfüllen von Ameisenpulver. So lernt er die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen kennen und gewinnt ihr Vertrauen. „Da sind wir sonst ja gar nicht richtig dran!“ Und als im September das Perspektiva-Konzept auf unbegleitete jugendliche Flüchtlinge ausgeweitet wird, sucht er die Nähe auch zu ihnen und ermuntert Sie, ohne Hemmungen Deutsch zu sprechen. Dabei lässt er die jungen Syrer oder Afghanen viel von sich erzählen, hört aufmerksam zu, wenn sie von ihrer Heimat und ihrem Leben in muslimischen Familien berichten. „Ich mache bei Perspektiva einfach ein personelles Angebot. Ich bringe keine speziellen Kenntnisse mit ein, sondern zeige: Mir ist nicht egal, wie es euch geht, ich möchte, dass ihr einen Platz im Leben findet. So wie jeder seinen Platz finden muss, damit das Leben gelingt. Ich sag´ ihnen: Wenn ihr wollt, dann könnt ihr; aber es geht nicht immer ohne Brüche. Diese Menschen bringen ja auch eine Menge mit! Wir müssen nicht so tun, als wären wir selbst so ungeheuer komplett.“

Im Gegensatz zu unserer westlichen Kultur sei das Leben der Flüchtlinge stark von Religion geprägt. „Integration ohne Religion funktioniert deshalb nicht. Natürlich dürfen wir nicht gleich mit der Bibel ankommen. Wir müssen einfach den normalen Alltag teilen und offen aufeinander zugehen. Franziskus hat im Jahr 1219 auch eine Woche bei den Sultanen verbracht. Der Sultan wurde kein Christ, Franziskus wurde kein Muslim, aber es gab eine gegenseitige Wertschätzung und einen Dialog. Von daher müssen auch wir uns im Dialog mit den Muslimen einbringen.“

In absehbarer Zeit steht eine große Veränderung auf dem Frauenberg an. Weil es kaum Nachwuchs in der Ordensgemeinschaft gibt, droht Überalterung. Um die große Anlage unterhalten zu können und um den Ort samt Gästehaus mit Leben zu füllen, ist eine Kooperation mit antonius geplant. Derzeit werden Pläne geschmiedet, wie ein gemischtes Wohnen und Arbeiten an diesem besonderen Ort aussehen könnte. Ebenso, mit welchen Ideen man die Fuldaer hier hochlocken könnte. „Ob das Haus ein geistliches Haus ist, hängt nicht daran, ob es explizit religiöse Angebote sind, sondern ob es ein gastliches Haus ist. Wenn wir uns freuen, dass Leute kommen, ist es auch ein geistliches Haus.“

Durch eine solche Kooperation kann der Konvent vor der Auflösung bewahrt werden. Allerdings werden dann weniger Mönche hier leben. Dieser Schritt wird die Gemeinschaft ordentlich durchmischen, aber Bruder Florian sieht die Entwicklung als Chance: „Das Kloster rückt wieder näher an die Menschen heran. Wir haben derzeit keinen Kontakt zu jungen Leuten, und das Hinausgehen ist für uns nicht mehr so möglich. Aber mit antonius können wir hier oben einen Ort schaffen, wo es solche Begegnungen gibt.“ Auch er selbst werde dann neue Aufgaben übernehmen. Als passionierter Radsportler, der am Tag auch mal 300 km zurücklegt, könne er sich vorstellen, eine Sportgruppe zu betreuen. Und als begeisterter Vollwertkoch und erklärter „Teilzeitvegetarier“ ziehe es ihn auch immer in die Küche. „Ich kann nichts richtig, aber dafür vieles“, lacht er, und fügt etwas ernster hinzu: „Meine Pastorale ist: Einfach dazwischen sein. Das ist so eine Kurzform. Nicht oben darüber.“

Und natürlich wird er als osthessischer Karl Valentin auch seinen Wortwitz miteinbringen. „Einmal wollte eine Frau wissen, wann hier oben die Christmette sei. ‚Um 24 Uhr‘, hab ich geantwortet. Darauf Sie: ‚Oh, das ist mir aber ein bisschen spät.‘ Da hab ich dann gesagt: ‚Na ja, vielleicht fängt sie auch erst um 00:03 an, aber das ist Ihnen dann wahrscheinlich ein bisschen früh.‘ Da hat sie dann auch gelacht.“ Und wenn jemand versehentlich Bruder Florian am Apparat hat und sich entschuldigt: „Tut mir leid, da hab ich mich verwählt!“, dann beruhigt er den Anrufer: „Ich hab mich auch verwählt – bei der Bundestagswahl!“

von Arnulf Müller und Steffen Waßmann

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