Der letzte Gang
Aus dem Leben einer Bestatterin, von Anna-Pia Kerber
Stellen Sie sich vor, Sie lernen eine junge, bildhübsche Frau kennen. Sie ist bodenständig, selbstbewusst und einfühlsam. Und sie lacht gerne. Sie liebt Tiere, ist gerne in der Natur und hat gerade Quad-Fahren als ihr neues Hobby entdeckt.
Sie würden gerne mit ihr Kaffee trinken gehen? Auch dann noch, wenn Sie erfahren, dass die junge Dame Bestatterin ist? Ja, das sollten Sie auf jeden Fall!
Für unser Magazin haben wir schon oft die Seite gewechselt. Dieses Mal reden wir über den ‚finalen’ SeitenWechsel – und zwar mit Menschen, die jeden Tag damit zu haben. Darleen Möller führt gemeinsam mit ihrer Mutter Nicole das Bestattungsinstitut Häußler in Bad Hersfeld. Seit vier Generationen befindet sich das Unternehmen in Familienbesitz, und für die 23-jährige Darleen ist der Beruf etwas Selbstverständliches: Der Tod wurde ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt. „Ich wurde am Bürotisch gewickelt“, erklärt sie mit leisem Lachen. „Und ich habe schon als Teenager im Bestattungsinstitut mitgeholfen. Für mich ist das ganz natürlich.“
Natürlich ist auch die Art, wie sie vom Tod spricht. Ohne Drama. Ohne Schauspiel. Und ohne die entsetzlich salbungsvolle Art, die einem zuweilen in Bestattungshäusern begegnet. Dafür hat sie nichts übrig. Vor allem nicht, wenn Menschen mit salbungsvollen Worten das Geld aus der Tasche gezogen wird. „Eigentlich sind wir schlechte Verkäufer“, sagt sie über ihre Familie. „Wir würden niemandem etwas aufzwingen.“ Denn Sterben kann sehr teuer werden, je nachdem, wie Bestattung und Trauerfeier ausgerichtet werden. Allein die Preise einer Urne variieren ab 100 € bis „open end“.
Für die gelernte Floristin war schnell klar, dass sie in das Familienunternehmen einsteigen will. Es sei doch schade, ein Traditionsunternehmen aufzugeben, findet sie. Und der Erfolg gibt ihr recht – auch wenn ‚Erfolg‘ in diesem Fall mehr zwischenmenschlicher Natur ist. „Die Menschen vertrauen uns.“
Weil das Mutter-Tochter-Gespann sich die Arbeit teilt, fällt es leichter, zu den verschiedensten Hinterbliebenen und Trauernden Zugang zu finden. „Einige haben einen besseren Draht zu meiner Mutter, andere zu mir.“ Nur selten passiert es der 23-Jährigen, dass sie die Angehörigen der Verstorbenen für zu jung halten. Kaum verwunderlich, da die junge Frau früh gelernt hat, sowohl das Leben zu schätzen – als auch den Tod zu akzeptieren.
Wer von Beruf Bestatter ist, geht in vielen Situationen bewusster durchs Leben. Was Darleen am wichtigsten ist: „Ich achte darauf, nicht im Streit mit jemandem auseinanderzugehen. Das habe ich von meiner Mutter gelernt. Natürlich gibt es Tage, an denen ich nur in Ruhe gelassen werden will. Aber es ist wichtig, die Dinge gleich zu bereinigen.“
Das ist ihr einmal schmerzhaft bewusst geworden, als ein junger Mann nach einem Autounfall zu ihr kam und erzählte, er habe seiner verstorbenen Freundin nicht mehr sagen können, wie ihm etwas sehr leid getan habe.
Darleen bedauert es, dass sich die Menschen nicht öfter Zeit zum Innehalten nehmen. „Wir denken zu geradeaus. Es gibt doch mehr im Leben als Arbeit und Profit.“
Bestatterin im Schwarzen Moor
Für ihre eigene Arbeit braucht sie viel Engagement. Und Herzblut. Am einfachsten fallen ihr organisatorische Dinge, das Dekorieren und Anfertigen von Blumenarrangements. Schwieriger wird es, wenn das Institut Kleinkinder oder Suizid-Fälle aufnimmt. Dann kann es vorkommen, dass Darleen und ihre Mutter an eine Bahnstrecke gerufen werden. „Die Strecke wird abgeriegelt, und dann heißt es schnell sein. So etwas macht nicht die Feuerwehr, sondern wir.“ An solche Momente denkt sie nicht gerne zurück.
Doch spätestens, wenn ein Verstorbener umgebettet werden muss, braucht auch Darleen Hilfe: Einen leblosen Körper zu heben, ist ein Kraftakt, den die junge Frau nicht allein bewältigen kann. „Es ist etwas völlig anderes, als einen lebendigen Körper zu tragen“, erklärt sie. „Der macht sich zum Tragen leicht. Aber hier liegt der Schwerpunkt konstant in der Körpermitte.“ Daher beschäftigen sie Helfer, die beim Abholen und Umbetten der Verstorbenen zur Hand gehen.
Wenn ein Mensch eines natürlichen Todes gestorben ist, fällt es leichter, Gesicht und Hände herzurichten. „Früher hat man Theaterschminke benutzt, aber das macht man nicht mehr. Sie ist viel zu grell.“ Der Bestatterin ist es wichtig, ein natürliches Aussehen beizubehalten.
Wichtiger noch als solche äußerlichen Dinge ist es, den Hinterbliebenen mit Feingefühl zu begegnen. Darleens Aufgaben ähneln denen eines Psychologen: Sie muss zuhören können. Ein Trauergespräch kann bis zu drei Stunden dauern, und oft lernt sie die gesamte Lebensgeschichte des Verstorbenen kennen. Aber die junge Frau hört gerne zu, vor allem älteren Menschen, die schon viel erlebt haben.
Wer mit so viel Trauer konfrontiert wird, hat allerdings auch ein Redebedürfnis. Darleen ist froh, ihre Familie zu haben, die weiß, was in ihr vorgeht. Sie hält es für einen großen Vorteil, dass die Familie zusammenarbeitet. „Vor allem bei Fällen, die einem sehr nahe gehen, ist es gut, darüber reden zu können.“ Nahe geht ihr der Tod immer – trotz aller beruflichen Routine. Wenn Babys sterben „tut es echt weh“, sagt Darleen. In einem solchen Fall eine Trauerfeier auszurichten, ist für alle eine Herausforderung. Doch sie weiß, wie wichtig es für Eltern ist, angemessen Abschied zu nehmen.
Wer so viele menschliche Dramen zu verarbeiten hat, muss auch mal abschalten können. Dafür steigt Darleens Mutter auf ihr Motorrad, während sie selbst gerne Quad fährt. Am liebsten geht sie allerdings mit ihren Hunden spazieren. Diese spielen in ihrem Leben eine ganz besondere Rolle. Und sosehr sich Darleen auch mit dem Tod beschäftigt hat: An den ihrer Hunde mag sie nicht denken. „Sie sind mein Lebensinhalt. Meine Freunde und Seelentröster. Und sie geben keine Widerworte“, fügt sie mit einem Zwinkern hinzu.
Dass sich Darleen ihren Humor bewahrt hat, beweist sie ihren Freunden oft – zumindest denjenigen, die kein Problem mit ihrem Beruf haben. „Das sind meistens Kerle. Der Umgang ist einfach lockerer. Aber natürlich gibt es auch Männer, die von dem Thema nichts wissen wollen.“
Schade, denn privat mag es die junge Bestatterin gerne bunt. Nicht nur, was Musik, Blumen und Dekoration angeht, sondern auch, was ihr Äußeres betrifft: Auf ihrem Unterarm prangt eine filigrane, kobaltfarbene Blaumeise. „Ich war nie ein Kind von Traurigkeit“, sagt sie über ihre Jugend. Auch wenn sie öfter gefragt wurde, ob sie nicht ‚Leichen im Haus haben’. Das haben sie im Übrigen nicht – die Verstorbenen werden in Kühlkammern auf dem Friedhof aufbewahrt.
Auch ihr privates Wohnhaus befindet sich inzwischen neben einem Friedhof, was allerdings dem Zufall zu verdanken ist. „Dort ist es schön ruhig“, erklärt die Naturliebhaberin, die sich nicht vorstellen kann, dauerhaft in einer Großstadt zu leben.
Über ihre eigene Bestattung hat sich Darleen übrigens auch schon Gedanken gemacht. „Ich möchte eine Feuerbestattung“, sagt sie überzeugt. „Und ich will, dass meine Lieben feiern. Es soll bunt werden, nicht traurig.“ Dazu gehört die richtige Musik und ein Hunde-Airbrush-Bild auf der Urne. Sie legt jedem ans Herz, sich rechtzeitig um die Vorsorge zu kümmern. Nicht, weil jeder irgendwann gehen muss. Sondern weil es gut tut, zu wissen, wie man gehen wird. Und weil man es den Lieben damit einfacher macht.
Was danach kommt? Das kann auch eine Bestatterin nicht wissen. Sicher ist nur eines: „Der Tod ist ein Tor und nicht das letzte“ (Enrique Sánchez).