Biologisch, fair ... kompliziert

Von der Schwierigkeit, den Lebensmittelhandel umzukrempeln. Wer bio kauft, will alles richtig machen:

 

Drei Männer

Sich gesund und lecker ernähren, die Landschaft schonen, unnötige Transportwege und Verpackungsmüll vermeiden, fairen Handel unterstützen. Doch kosten soll das alles möglichst wenig und die Ware soll natürlich makellos sein. Wer so viel will, macht es Erzeugern und Händlern nicht einfach.

Drei Männer ringen in ihren Jobs um Lösungen – und dies noch nach Jahrzehnten mit Leidenschaft:
Thorsten Heil, Leiter des Obst-und-Gemüseeinkaufes bei tegut,
Peter Linz von antonius Hof und
Martin Günzel von antonius Gärtnerei.

Arnulf Müller: Ich habe heute Morgen bei tegut eine Biogurke erstanden, ...

Thorsten Heil: Sehr gut!

... mir fiel aber auf, dass Biogurken in Plastikfolie verschweißt sind, konventionelle nicht. Wer bio kauft, produziert also ungewollten Müll.

Heil: Das bekommen wir oft gespiegelt. Ob Gurken foliert oder unfoliert angeboten werden, hat mit der Herkunft zu tun. Bei konventionellen Gurken haben wir derzeit deutschen Anbau, bei Biogurken stammt aktuell noch ein großer Teil aus dem europäischen Ausland. Würden diese Gurken ohne Folie verschickt, würden sie auf der Reise verdunsten und wären das Geld nicht mehr wert. Wir hatten überlegt, sie lose anzubieten und stattdessen die ganze Kiste in Plastik einzuschweißen. Das wäre für den Kunden in der Wahrnehmung schön, aber ökologischer Nonsens, weil mehr Verpackung anfallen würde. Deutsche Gurken, bio und konventionell, gehen ohne Folie in den Handel, weil wir eine schnelle Logistik haben. Es gibt sie aber leider nicht das ganze Jahr. Wenn wir Bio in dieser Qualität wollen, müssen wir bei Importware die Folie akzeptieren. Das ist ein Abwägen.

Warum verkauft tegut denn so wenig Biogurken aus Deutschland?

Heil: Unser Bedarf wird hier leider nicht gedeckt. Ich muss erst Erzeuger dafür gewinnen, dass sie für uns deutsche Biogurken produzieren. Deswegen habe ich an die beiden Herren hier die Vision herangetragen: „Könnt ihr euch nicht vorstellen, in Fulda in ein Gewächshaus zu investieren?“

Peter Linz:  Wir sind tatsächlich dran und haben in Haimbach die Fläche neben unserem Biogas-Kraftwerk freigehalten. Dessen Wärme könnten wir in so ein Gewächshaus einspeisen. Gewächshäuser zu heizen ist bei Bioland-Betrieben aus Energiespargründen verboten. Wenn aber Abwärme aus einer Biogasproduktion anfällt, geht das.

Was ist das Interesse von tegut daran?

Heil: Wir könnten noch mehr regionale Bioware vermarkten. Während einiger Monate würden die Folien für Biogurken wegfallen.

Hat Verpackung nicht noch andere Gründe?

Heil:  Weil wir kein reiner Biomarkt sind, sondern ein Supermarkt mit hohem Bioanteil, müssen wir das Bioprodukt auch als ein solches kennzeichnen. Das geht oft nur über die Verpackung. Es wäre ökologisch unklug, die konventionelle Ware abzupacken, weil wir davon viel mehr verkaufen. Das löst nicht das Anliegen unserer Biokunden, aber wir müssen es abwägen über alle Prozessstufen.

Werden solche Waren nicht auch in Kunststoff verpackt, um feste Gebinde anbieten zu können?

Heil: Würde der Kunde nur lose Ware kaufen, würde bei tegut nichts Verpacktes mehr liegen. Bevormunden können wir den Kunden aber nicht, wir können nur Alternativen bieten. Wie bieten z. B. Biomöhren verpackt und lose an – zum gleichen Preis! Aber 70 % der Kunden greifen zu den verpackten Kilopackungen. Bei Paprika ist es ähnlich. Der Verbraucher entscheidet, was wir tun. Erzeuger und Händler würden lieber lose verkaufen, denn das Verpacken macht Arbeit und erzeugt Kosten.

Liegt es am Hygienebedürfnis des Kunden?

Heil: Auch. Das andere ist der Wunsch, schnell einzukaufen.

Linz: Kann man den Kunden nicht über den Preis erziehen?

Heil: Die Sache mit dem Preis ist problematisch: Eine Biogurke mit 350 Gramm kostet 1,49. Würde ich sie lose verkaufen, müsste ich hinschreiben: 1 Kilo für 4,50 Euro. Da fehlt dem Kunden das Gefühl, was eine Gurke kostet. Bei losen Äpfeln und Tomaten hat man eher ein Gefühl dafür, aber bei Möhren oder Gurken fühle ich mich bei der verpackten Einheit auf der sicheren Seite. Der Preis wirkt optisch günstiger. Solche Sachen beeinflussen die Kunden. Genauso wie der qGeschmack immer erst dann kommt, wenn die Kaufentscheidung schon getroffen ist. Der erste Faktor ist Optik, der zweite der Preis. Was uns gelingen muss, ist, dass das Geschmackserlebnis so groß ist, dass der Kunde sagt: „Das kaufe ich wieder!“

Verschwendung bei Lebensmitteln entsteht auch dadurch, dass vieles vernichtet wird, weil es nicht der Norm entspricht. Wie kann man dieses Problem lösen?

Heil: Indem wir im engen Kontakt mit unseren Landwirten versuchen überdurchschnittlich viel von dem zu vermarkten, was bei ihm anfällt. Wenn ich als Einkäufer zu ihm sage, ich will nur eine bestimmte Größe, und der Bauer hat nur mich als Kunden, muss ich trotzdem alles, was er vernichten muss, irgendwie mitbezahlen. Deswegen versuchen wir, so viel wie möglich von dem, was die Fläche hergibt, zu verkaufen. Beispiel Kartoffeln: Da vermarkten wir die kleinen Drillinge als Spezialität, die Premiumsortierung als Eigenmarke und die Übergrößen als Folienkartoffeln zum Grillen. Das sind schon mal drei Schienen. Was da nicht hineinpasst, kommt zum Kartoffelschälbetrieb. Und was gar nicht verkauft werden kann, gelangt über den Kompost wieder in die Produktion.

Linz: Solche Lösungen sind nur möglich durch Kooperationen. Wir von antonius beliefern tegut mit der 2,5-Kilo-Kiste „Fair gehandelte Kartoffeln“. Aber wir kooperieren auch mit Thomas Schwab, dem Haupterzeuger für tegut. Ein Teil seiner Ware - das sind Kartoffeln mit guter Qualität, aber leichten Beschädigungen oder grünen Flecken – kommt in unseren Schälbetrieb. Und wir werfen überhaupt nichts weg, denn die Schalen werden als hochwertiges Energiefutter an die Tiere verfüttert.

Günzel: Bei Karotten genauso.

Was hat tegut von solchen Kooperationen?

Heil: Wir schreiben uns Nachhaltigkeit auf die Fahnen – aber draufschreiben allein nutzt nichts. In einem Quadratmeter Ackerboden stecken enorm viel Arbeit und Energie. Ich kann dem Erzeuger bessere Preise zahlen, wenn ich die aus der Norm fallenden Produkte on top vermarkte. Die kleinen Kartoffeln sind für den Erzeuger eine Last, aber wir entwickeln Absatzwege. So können wir ihm mehr bezahlen als die Industrie. Viele Betriebe produzieren schon 25 Jahre für uns, auch mit antonius geht das schon 20 Jahre. Das Schöne ist: Wir setzen uns an den Tisch und reden nicht über Probleme, sondern über unsere Ideen. Wir stehen dicht am Erzeuger, das unterscheidet uns.

Ist es nicht auch Ihre Aufgabe, den Kunden dahin zu bringen, dass er nicht auf hochpolierte Ware hereinfällt, sondern auch mal einen Apfel mit Schorf mitnimmt?

Heil: Das wird in den Medien viel thematisiert und kommt gut an, ist aber oft nur Marketing: Ob die Werbung für krumme Gurken oder kleine Möhren dem Erzeuger letzten Endes hilft, ist fraglich. Als kleineres Unternehmen erreichen wir mehr, wenn wir ihm die kleinen Kartoffeln abkaufen und als Delikatesskartoffel vermarkten. Dann haben wir wirklich etwas bewegt, auch für den Kunden.

Linz: Aber die Frage nach dem Kundenbewusstsein ist schon wichtig. Auf der Biofachmesse habe ich erlebt, dass dort versucht wird, den konventionellen Bereich noch zu übertrumpfen: Alles muss noch schöner sein, besser gestaltet – und natürlich darf es keinen Apfel mit Schorf geben. Es wird noch mehr Kunststoff verbraucht: In der gleichen Verpackung ist weniger drin, aber man soll es nicht merken. Da muss sich der Kunde veräppelt vorkommen – um auf den Apfel  zurückzukommen.

Heil: Die Frage ist: Was können wir dem Kunden alles mitgeben? Mit den Medien, die wir haben, können wir nur bestimmte Themen spiegeln. Aber wir dürfen auch nicht müde werden. Dass bio besser ist, scheint schon mal massentauglich angekommen zu sein.

Linz: Martin Günzel hat mit antonius Gärtnerei vor 30 Jahren Bio in unserer Region eingeführt –neben Loheland. Ein paar Jahre später haben wir die Landwirtschaft auf Bio umgestellt. tegut war auch ein Pionier. Wolfgang Gutberlet ist selbst herumgefahren und hat die ersten Bioschweine ausgesucht. Er wollte Bio einer größeren Kundenzahl zur Verfügung stellen – im Supermarkt.

Günzel: Da dachten wir damals: „Das ist riesige Konkurrenz für uns!“. Aber das Gegenteil war der Fall: Die Leute haben noch stärker nachgefragt.

Heil: Der Vertragsanbau ist ja auch aus Bio entstanden. Wenn man von 25 Jahren einen Biosalat verkaufen wollte, musste man erst Erzeuger dafür begeistern und einen Vertrag machen, der Stückzahl und Preis festhielt. Heute ist das sogar im konventionellen Anbau so. Wenn du eine Tomate willst, die besser ist als der Standard – also besser als eine, die nur lange hält, aber nicht schmeckt und günstig ist – muss man Vertragsanbau machen. So zu arbeiten ist unser täglich Brot. Step by step.

Was steuert antonius als vergleichsweise kleiner Erzeuger bei?

Heil: Im Kohl-Segment seid ihr ein wichtiger Produzent mit einem hohen Qualitätsniveau. Oder bei Rhabarber. Auch bei Spezial- bzw. Nischenprodukten wie Tomatenpflanzen. Indem wir mit antonius kooperieren, schaffen wir Arbeitsplätze, sogar für Menschen mit Handicap. Das machen wir aus Überzeugung. Aber wir nehmen die Produkte auch gerne, weil wir so ein Stück regionaler werden.

Linz: Es gibt immer mehr Kunden, die ein Gefühl davon haben wollen, wo etwas herkommt. Ihr habt ja auch ein Image. Zu jemandem, der Partnerschaften stärkt und faire Handelsbeziehungen pflegt, geht man lieber als zum Discounter, in dem auch ein paar Paletten Bio stehen.

Heil: Aber es liegt auch am Persönlichen. Ob solche Projekte laufen, hängt daran, ob es menschlich passt.

Günzel: Als wir anfingen mit tegut zu arbeiten, hatten wir das Gefühl: tegut da oben, wir ganz unten. Aber mit der Zeit wuchs unser Selbstvertrauen. Vor allem spürten wir, dass unsere Produkte nicht aus Mitleid, sondern wegen ihrer Qualität gekauft wurden. Das war die größte Auszeichnung für unsere Mitarbeiter mit Handicap.

Das Gespräch führte Arnulf Müller

 

Thorsten Heil

Was wünschen SIe sich vom Kunden?

Thorsten Heil, Leiter des Obst-und-Gemüseeinkaufes bei tegut

Der Kunde sollte den gesunden Menschenverstand einschalten. Wenn ein Babystrampler in einer Kette 2,50 kostet, kann die Näherin nicht fair bezahlt worden sein. Und in Bezug auf Lebensmittel: Der Kunde sollte sie mehr wertschätzen. Die Bereitschaft dazu ist in Deutschland geringer als in ganz Europa. Bei uns haben der SUV und die Reise mehr Bedeutung als die Ernährung. Dass sich das ändert, ist mein Wunsch.

 

Peter Linz

Was wünschen SIe sich vom Kunden?

Peter Linz, antonius Hof

Mein Wunsch ist, dass sich der Verbraucher seiner Macht bewusst wird. Mit seinem Einkauf entscheidet er über die Ausrichtung der Produktion und damit über die ökologischen Folgen. Kriterien wie Regionalität, der ökologische Fußabdruck und soziale Standards können dadurch wieder mehr Gewicht erhalten. Selbst im Biobereich wird alles nur noch größer und gigantischer. Aber der denkende Mensch hat, indem er bewusst einkauft, die Möglichkeit, auch kleine Erzeuger zu stützen, die Biolandwirtschaft aus Überzeugung und mit Leidenschaft betreiben.

 

Martin Günzel

Was wünschen SIe sich vom Kunden?

Martin Günzel, antonius Gärtnerei

Ich wünsche mir, dass unsere Kunden beim Produkt nicht nur Optik, Preis und Geschmack wahrnehmen, sondern den kompletten Produktionsweg. Dass sie erkennen, die machen das gut. Sozial, ökologisch und regional sind unsere drei Kriterien. Schenkt uns das Vertrauen, dass wir das einhalten, und gebt uns den Auftrag, so weiterzumachen. Und haltet Euch nicht dabei auf, ob die Möhre einen kleinen Fleck hat, den man locker rausschneiden kann. Fragt: What’s behind the story?

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